„Tonbacher Gedanken“ by Leander Schmidt-Glintzer


„Tonbacher Gedanken“ by Leander Schmidt-Glintzer

<Das Anrichten, ganzer Film>

 From Chef to Plate Movie


Wenn sich Leidenschaft leben lässt

– Ein Einblick von Kopf zu Teller –

Vorwort

Als Azubi in der Traube Tonbach wird man täglich vor hunderte Herausforderungen gestellt und lernt nicht nur handwerklich und beruflich stetig dazu, sondern auch menschlich, sowohl über andere, als auch über sich selbst. Das Tal ist ein wahrliches Becken für wissenshungrige, leidenschaftliche und enthusiastische Junggastronomen, die sich mitten im Nichts, der Natur des Schwarzwalds, treffen, austauschen,  gegenseitig inspirieren und antreiben.

Es sind die Gespräche, die spontanen Brainstorms, das Leuchten in den Augen, wenn man über eine neue Idee philosophiert, die Gleichgesinntheit, diese besonderen und wertvollen Begegnungen, die mich in meiner Lehre stetig motivieren, Kreativität fördern, den eigenen Ehrgeiz ankurbeln und mich immer wieder wissen lassen, wie vielseitig und genial dieser Beruf ist und wie sehr ich mich damit identifizieren kann.

Einen maßgeblichen Einfluss geben hierbei natürlich auch die Lehrmeister, welche mit uns Azubis Tag für Tag den Weg des Strebens nach Perfektion und ständiger Verbesserung gehen. Dabei hat es sich unser Sous-Chef,  Leander Schmidt-Glintzer, ganz besonders zur Aufgabe gemacht, uns Nachwuchsköchen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, im richtigen Moment und mit Nachdruck und Präzision durchzugreifen, uns im Anspruch an die eigene Leistung zu schulen und dabei, neben dem Erlernen des Handwerks, Teamgeist, Offenheit, Verantwortung und Fairness in den Vordergrund zu stellen. Diese wertvollen Botschaften werden mich auch weit nach der Lehre stetig begleiten.

Und so treffen sich Sous-Chef und Azubi an einem sommerlichen Freitag Abend, klettern ein wenig durch den Wald um Baumrinde, Blüten und Klee zu sammeln und gehen in dem auf, was sie am liebsten tun

… kochen…

und alles was die Welt dessen für sie bereit hält.

Interview

Herr SchmidtGlintzer,vielen Dank zunächst, dass sie sich die Zeit genommen haben.

Sie haben ein Gericht für diesen Gastbeitrag kreiert und sind bereit meinen Fragen

Rede und Antwort zu stehen.

Wie entsteht so ein Gericht in Ihrem Kopf? Haben Sie dafür eine Strategie oder

erspringen Ihre Ideen unkontrolliert?

Ich möchte behaupten, dass jeder Beginn einer Entwicklung individuell ist. In unserem Fall

empfinde ich die Entstehungsgeschichte in außergewöhnlicher Form mit der Erotik

verbunden. Sie dürfen sich das folgendermaßen vorstellen: Zunächst habe ich mir überlegt,

was mich persönlich als Mensch und Koch, gleichzeitig aber auch das Unternehmen

repräsentiert, für das ich derzeit meine Kraft und Energie einsetze. Ich entschied mich für die

Schlagworte Einfachheit, Ästhetik, Balance und geschmackliche Komplexität, denen das

Gericht gerecht werden sollte.

Folgerichtig beschloss ich, mich der Tonbachforelle als Joker-Komponente und gleichzeitig

als Hauptprodukt zu bedienen. Rings um den heimischen Tonbach finden sich saftig grüne

Wiesen, die eine größere Vielfalt an Gräsern, Blüten und Wildkräutern kaum haben könnten,

darin sollte die Forelle also gefasst werden. Um dies kulinarisch umzusetzen, dachte ich

daran, Konsistenz und Geschmack der Forelle mit einer Wildkräuterbeize zu verfeinern.

Zitronenverbene habe ich zu Zeiten meiner Ausbildung an einem Bächlein in

Klosterreichenbach gepflanzt und durfte nun, viele Jahre später, ihr selbstständiges Gedeihen

bewundern. Zitronenverbene war also mit im Boot. Als Sud in Kombination mit

Staudensellerie und unreifen Äpfeln sollte sie eine alles vereinende Basis schaffen. Tiefere

Nuancen zu schaffen – das Erdige eines Flussbettes repräsentierend – war die Anforderung an

das Püree von Knoblauchasche. Der Sauerklee hat für mich die besondere Aufgabe, dem

Gericht durch seine Säure und Leichtigkeit, kleine säuerliche Überraschungen zu verleihen.

Die Erdbeeren entdeckte ich, um ehrlich zu sein, fünf Minuten vor dem Anrichten des Tellers

in unserem Kräutergarten. Auf wundersame Weise steuerten sie eine minimale,

zurückhaltende Fruchtnote zu der Kreation bei.

Bei dem zeitlichen Entstehungsprozess sprechen wir von zwei fast schlaflosen Nächten, in

denen Vorfreude auf das Ergebnis, wie auch Zweifel an der Perfektion der Komposition

prägend waren.

Ich habe zuvor das Wort Erotik mit dem Entstehungsprozess verbunden. Die schlaflosen

Nächte waren das Leidenschaft erweckende Vorspiel. Das Anrichten, Präsentieren und

Verkosten der Höhepunkt, der jeden Aufwand hundert Mal lohnenswert macht.

Sie haben auch das Unternehmen erwähnt für das Sie zu leben scheinen. Möchten Sie

kurz Ihren Werdegang beschreiben?

In dem von der Familie Finkbeiner geführten Hotel Traube Tonbach habe ich 2008 einen der

begehrten Ausbildungsplätze ergattern können. Damit hat alles begonnen. In diesen Jahren

der Lehre habe ich eine permanente kulinarische, mentale und körperliche Reizüberflutung

empfunden. Die Erziehung und Förderung durch meine Lehrmeister muss jedoch so gut

gewesen sein, dass ich zum Ende meiner Ausbildung dem liebenswerten Paul Bocuse

empfohlen wurde, in dessen Restaurant ich durch ein Praktikum meine erste Stelle als

Commis de Cuisine antreten durfte.

Von dort ging es weiter zu Daniel Boulud nach New York, dessen Küchenchef ich kurzerhand

anrief, um zu fragen, ob ich vorbeikommen dürfte, um mich vorzustellen. Dies tat ich im

April 2012. Nach elf harten, schönen Monaten bei Paul Bocuse zog es mich in dieses

pulsierende Zentrum verschiedenster Kulturen – auch der Kulinaristik.

Daniel Boulud 3 Sterne Michelin (damals) Ecke Parkavenue 65th Street – bis zu 300 Gäste

pro Abend von Montag bis Samstag. Das war Wahnsinn! Ameisen, die in ihrer großen

Anzahl perfekt organisiert sind, schienen als Vorbild zu dienen. Um hiervon einen visuellen

Eindruck zu gewinnen, kann ich Ihnen nur das Video – My french cuisine Daniel Boulud –

empfehlen.

Dieses Jahr als Chef de Partie war wirklich unglaublich bereichernd und wäre alles nach

meinen Wünschen verlaufen, hätte sich eine Zeit in Sao Paolo bei Alex Atala angeschlossen,

dem ich in New York von Daniel Boulud vorgestellt wurde. Leider musst ich mir nach

einigen Überlegungen eingestehen, dass ich mit einem Gehalt von 500€ im Monat nicht

anständig hätte leben können nicht in einer Metropole wie Sao Paolo.

Ich flog also zunächst nach Deutschland zurück. Es ergab sich ziemlich schnell ein Treffen,

das in seinem Resultat etwas Besonderes werden sollte. Ein Schüler Harald Wohlfahrts und

der Traube Tonbach Mathias Maucher bekam im „Hotel Im Wasserturm“ die Gelegenheit,

das Gourmetrestaurant neu zu gestalten und zu eröffnen. Etwas von Anbeginn zu betrachten

und mitzugestalten, erschien mir eine riesige Chance. Für meinen Prozess der persönlichen

Professionalisierung und für meine charakterliche Entwicklung. So endete diese Station für

mich mit dem Erreichen des ersten Michelin Sterns. Mathias Maucher war Sternekoch und ich

derjenige, der ihn ein stückweit begleiten durfte.

Danach musste ich für mich eine Entscheidung treffen: Gönne ich mir den kulinarischen

Feinschliff bei Herrn Wohlfahrt oder zieht es mich zu einer anderen Aufgabenstellung hin.

Ich entschied ich mich sehr bewusst dafür, mich noch einmal in die Lehre zu begeben. In die

Lehre zum Chef. Für diese Ausbildung legte ich mein Schicksal in vier magische Hände: In

die der Gastronomiegenies Jürgen Reidt und Henry Oskar Fried. Und so bin ich erneut hier,

in meinem persönlichen Traube Tonbach Vol. 2.0.

Wie dürfen wir uns diese Lehre vorstellen in der Sie nun bei dem Küchendirektor der

Traube Tonbach Jürgen Reidt und seinem Stellvertreter Henry Oskar Fried befindlich

sind?

Offiziell nennt sich diese Stellenbeschreibung „Souschef“. Faktisch galt es zunächst zu

erkennen, dass ich mich das erste Mal in einer Führungsposition befand und noch immer

befinde. Eine Aufgabenstellung, die neu für mich war. Hinzu kamen weitere

Wirkungsbereiche in den administrativen Zweigen.

Möchte man diesen meinen Job auf etwas Philosophisches herunterbrechen, so bedeutet

die Aufgabenstellung für mich folgendes:

Demut gegenüber meinen Mitmenschen im Unternehmen, gegenüber den Produkten, mit

denen wir arbeiten dürfen und natürlich gegenüber dem Gast.

In der zweiten Dimension bedeutet der Job konsequentes agieren und reflektieren.

Die dritte, alles umfassende Dimension ist die Leidenschaft für jede Facette meines

beruflichen Handelns.

Inhaltlich möchte ich diese Lehre einmal wie folgt beschreiben:

Mitarbeiter gilt es auf dem schmalen Grad der freundlichen Strenge beruflich und menschlich

motivierend zu fordern und zu fördern. Effizienzmanagement habe ich gegenüber dem

Unternehmen zu gewährleisten. Jeden Tag einen Hauch von Qualitätssteigerung, bei stetig

optimierten Personalkosten und Wareneinsätzen. Das gelingt natürlich nicht jeden Tag, doch

bei täglicher Anstrengung stellen sich kleine Erfolge ein.

In der Realität des Alltags habe ich ein wundervoll komplexes Aufgabenfeld, welches sich

von der Ehre, Kochkurse für unsere Gäste gestalten zu dürfen, über Mitarbeiterschulungen

und Caterings erstreckt. In der Hauptsache bin ich natürlich in der Küche und versuche jeden

Tag, dem magischen Dreieck, der an mich gestellten Ansprüche gerecht zu werden.

Was genau ist das Magische Dreieck in Ihrer Küche?

  1. Wirtschaftlicher Erfolg
  2. Das Gewährleisten des allumfassenden Glückes der Gäste
  3. Eine Mitarbeiterführung im Zeitgeist, welche die ersten beiden Punkte erst möglich macht

Wie kamen Sie zum kochen?

Das war das simple Resultat einer Trilogie von Erkenntnissen:

1. Ich hatte Hummeln im Hintern; ich konnte nicht länger als 15 Minuten konzentriert

über einem Buch sitzen. Studium also unmöglich.

2. Als ich in meiner Jugend für Freunde und Familie kochte, erkannte ich, dass es keinen

einfacheren Weg gab, Menschen zusammenzubringen und zu beglücken.

3. Ich musste in meinem Leben etwas tun, das mich selbst begeistert und mitreißen kann

– womit wir interessanterweise schon wieder fast bei dem Thema Erotik wären.

Jetzt muss ich die Frage doch stellen Herr Schmidt-Glintzer. Welche Bedeutung hat für Sie die Erotik?

Gut gestaltet kann sie – wie das Kochen und das Lächeln auch – einer der wundervollsten Sinne des Lebens sein.

Abschließend eine persönliche Frage; was ist Ihr Antrieb der Sie mit 28 Jahren da

stehen lässt, wo Sie jetzt stehen?

Der eine wartet bis die Welt sich wandelt, der andere packt zu und handelt!

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Weitere Artikel/Links zum Thema:

Artikel Magazin Küche: http://www.kuechemagazin.de/starter/3069-starter-idealer-naehrboden.html

 


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